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Stopp dem Comeback der Sonderschulen

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen erinnern wir: Österreich hat inklusive Bildung versprochen – jetzt braucht es einen Baustopp für neue Sonderschulen und Investitionen in gemeinsame Schulen für alle Kinder.

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© NEOS

Zum morgigen Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember lohnt sich ein ehrlicher Blick auf unser Bildungssystem. Österreich hat sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention schon 2008 verpflichtet, Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam zu unterrichten. Trotzdem werden heute wieder neue Sonderschulen geplant und gebaut – etwa in Oberösterreich, wo allein für einen der zwei neuen Standorte rund 18 Millionen Euro investiert werden sollen, statt bestehende Schulen inklusiv auszustatten. 

Für uns NEOS ist klar: Das ist der Weg zurück in eine bildungspolitische Vergangenheit, die Menschen mit Behinderungen ausgrenzt – und ein Bruch mit internationalen Menschenrechtsstandards. Wir stellen uns entschieden gegen das Comeback der Sonderschulen und kämpfen für eine wirklich inklusive Schule für alle Kinder. 

Versprochen war Inklusion – gebaut werden neue Sonderschulen 

Fast 30.000 Kinder in Österreich haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf, knapp 3,6 Prozent aller Schüler:innen bis zur 9. Schulstufe. Rund zwei Drittel von ihnen werden inklusiv unterrichtet, ein Drittel besucht weiterhin Sonderschulen bzw. Sonderschulklassen. Gleichzeitig zeigt die Entwicklung der letzten Jahre: In mehreren Bundesländern wird wieder stärker in Sonderschulen investiert, anstatt inklusive Angebote in Regelschulen auszubauen.

Die Argumentation klingt oberflächlich überzeugend: Man berufe sich auf das „Elternwahlrecht“, auf lange Wartelisten für Sonderschulen und auf Kinder, die „im Regelsystem leiden“ würden. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich dieses „Wahlrecht“ aber oft als Scheinwahl: Wenn inklusive Klassen systematisch unterfinanziert sind, wenn Unterstützungsstunden gestrichen werden und multiprofessionelle Teams fehlen, haben Eltern de facto keine hochwertige inklusive Alternative. Dann ist der Weg in die Sonderschule kein freier Wunsch, sondern ein Notausweg.

Der unabhängige Monitoringausschuss, der in Österreich die Umsetzung der UN-Konvention überwacht, spricht von einer „chronischen Unterfinanzierung“ der Inklusion. Sonderpädagogische Stunden wurden vielerorts über Jahre schrittweise reduziert, Bund und Länder schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu – übrig bleiben Kinder, Eltern und Lehrkräfte, die mit zu wenig Ressourcen auskommen müssen.

Gleichzeitig wird der Neubau von Sonderschulen als „Lösung“ präsentiert. Das ist nicht nur teuer, sondern zementiert ein System, das Menschen mit Behinderungen abseits hält, statt ihnen den gleichberechtigten Platz mitten in der Gesellschaft zu geben.

Wir können uns bei der Auseinandersetzung mit Menschen mit Behinderungen nicht verstecken. Sie gehören in die Mitte der Gesellschaft, nicht an den Rand! Sie können und wollen lernen. Sie können und wollen arbeiten und sie können und wollen leben wie jeder andere Mensch auch!
Fiona Fiedler

NEOS-Sprecherin für Pflege und Menschen mit Behinderungen

Was die UN-Behindertenrechtskonvention wirklich verlangt 

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist kein netter Wunschzettel, sondern ein verbindlicher Menschenrechtsvertrag. Weltweit haben ihn mittlerweile 191 Staaten ratifiziert, 106 davon auch das Zusatzprotokoll, das Einzelbeschwerden beim UN-Ausschuss ermöglicht. Österreich gehört dazu und hat sich damit rechtlich verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen.

Artikel 24 der Konvention ist eindeutig: Staaten müssen sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass sie mit angemessener Unterstützung in Regelschulen lernen können. Inklusion bedeutet ausdrücklich nicht, dass man Sonderschulen ausbaut, sondern dass vorhandene segregierende Strukturen schrittweise abgebaut und Ressourcen in inklusive Settings umgelenkt werden.

Der UN-Fachausschuss hat Österreich 2023 ungewöhnlich deutlich kritisiert: Die Segregation von Kindern mit Behinderungen – insbesondere in Sonderschulen – müsse beendet, der Ausbau des segregierenden Schulsystems gestoppt werden. Neue Sonderschulen zu bauen, widerspricht damit klar den Verpflichtungen, die Österreich selbst unterschrieben hat.

Wichtig ist auch: Politik für Menschen mit Behinderungen ist keine reine Sozialfrage. Die nationale Anlaufstelle liegt zwar im Sozialministerium, doch betroffen sind fast alle Ressorts – vor allem Bildung, Finanzen, Verkehr, Digitalisierung oder auch Kultur. Wer Inklusion ernst nimmt, muss sie quer durch alle Ministerien denken.

Menschen mit Behinderungen und Wissenschaft sind sich einig 

Bei all den politischen Debatten wird eine Stimme systematisch überhört: jene der Menschen mit Behinderungen selbst. Behindertenorganisationen in Österreich fordern seit Jahren ein inklusives Schulsystem – und sprechen sich klar gegen den Ausbau von Sonderschulen aus. 

Auch die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig: Internationale Studien zeigen, dass Kinder mit Behinderungen in gut ausgestatteten inklusiven Settings gleich gut oder besser lernen als in Sonderschulen – fachlich, sozial und hinsichtlich späterer Chancen am Arbeitsmarkt. Gleichzeitig profitieren auch Kinder ohne Behinderung: Sie lernen Vielfalt kennen, Vorurteile werden abgebaut und demokratische Kompetenzen gestärkt. 

Wenn inklusive Bildung als „Sozialromantik“ abgetan wird, verkennt das die Fakten. Inklusion scheitert nicht an Kindern, sondern an fehlenden Rahmenbedingungen wie etwa zu großen Klassen, zu wenig Personal, mangelnder Barrierefreiheit oder auch fehlende Qualifizierung.  

Inklusive Bildung heißt außerdem: Sprache ernst nehmen. Gebärdensprachliche Kinder haben ein Recht auf Unterricht in ihrer Sprache, mit ausreichend qualifizierten Pädagog:innen. Ohne flächendeckende Verankerung der Gebärdensprache im Bildungssystem bleibt dieses Recht oft nur Theorie. 

Inklusive Schule statt teure Parallelsysteme 

NEOS sind überzeugt: Eine moderne Demokratie darf Kinder nicht nach Behinderung, Herkunft oder sozialem Status sortieren. Eine gute Schule ist eine Schule für alle. 

Daraus folgen für uns klare politische Forderungen: 

  • Baustopp für neue Sonderschulen
    Keine weiteren Millionen für betonierte Segregation. Öffentliche Mittel müssen in den Ausbau inklusiver Regelschulen fließen, nicht in neue Sonderstandorte.
  • Plan für ein inklusives Schulsystem mit klarem Zielbild
    Bund und Länder brauchen gemeinsam mit Behindertenorganisationen, Elternverbänden, Wissenschaft und Praktiker:innen einen verbindlichen Fahrplan: mit Meilensteinen, bis wann Sonderschulen schrittweise in inklusive Strukturen überführt werden und welche Ressourcen dafür notwendig sind.
  • Sonderschulen zu Kompetenzzentren für Inklusion weiterentwickeln
    Die Expertise der Pädagog:innen in Sonderschulen ist wertvoll – und wird in einem inklusiven System dringend gebraucht. Statt separater Schulstandorte braucht es multiprofessionelle, mobile Teams, die Regelschulen unterstützen, Fortbildungen anbieten und bei individueller Förderplanung helfen.
  • Mehr Ressourcen direkt in die Klassen
    Inklusive Bildung funktioniert nur mit ausreichend Sonderpädagog:innen und Schulassistenzen, Team-Teaching und kleineren Gruppen. Wichtig sind flächendeckende Barrierefreiheit, inkl. Gebärdensprache und digitaler Unterstützung. Jeder Euro, der heute in neue Sonderschulbauten fließt, fehlt morgen für diese Maßnahmen.
  • Ein echtes Elternwahlrecht – nicht nur auf dem Papier
    Wahlfreiheit bedeutet, dass es überall qualitativ hochwertige inklusive Angebote gibt. Eltern müssen darauf vertrauen können, dass ihr Kind in der Schule im Wohnumfeld bestmöglich unterstützt wird – ohne Druck Richtung Sonderschule, weil dort die Ressourcen konzentriert werden.
  • Starkes Monitoring und klare Verantwortung
    Die Organisationen der Menschen mit Behinderungen leisten wichtige Arbeit. Diese Strukturen müssen gestärkt werden, ihre Empfehlungen dürfen nicht länger ignoriert werden. Inklusion braucht klare politische Zuständigkeiten, transparentes Datenmonitoring und regelmäßige Berichte über Fortschritte oder Rückschritte.

Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen: Zeit, unser Versprechen einzulösen 

Bis heute haben fast alle Staaten dieser Welt die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Österreich war früh dabei – lebt sie aber im Bildungsbereich noch lange nicht. 

Zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen ist unser Appell daher klar: Statt weiter Geld in neue Sonderschulen zu stecken, muss Österreich endlich ernst machen mit inklusiver Bildung. 

Wir NEOS stehen an der Seite von Menschen mit Behinderungen, ihren Familien, engagierten Lehrer:innen und Expert:innen. Inklusion ist kein Luxusprojekt, das man sich „in guten Zeiten“ leistet, sondern ein Menschenrecht. Und genau das muss unser Schulsystem widerspiegeln – jeden Tag, in jeder Klasse, für jedes Kind.

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